Statement zum 27.01.

Liebe Alle,

auch wir wollen uns zu den Vorfällen, die bei uns im Laden auf der Soli-Party am 27.01. geschehen sind, äußern.

– Dazu ein paar Dinge vorweg –

Wir als T-Keller-Kollektiv stellen bei Soli-Partys lediglich unsere Räume und uns als Struktur zur Verfügung, veranstaltet wurde die Party von der Antirepressionsgruppe zur JVA-Besetzung. Das endgültige LineUp (wer wo auflegt) wurde erst am Tag selbst festgelegt und nicht von uns. Wir haben DJ Fár nicht eingeladen, sondern das Bündnis und wir wurden auch nicht in die Entscheidung miteinbezogen. Auflegen ist bei uns ein niedrigschwelliges Unterfangen. In gegenseitigem Vertrauen auf die gemeinsame Verantwortungsübernahme, auch durch Veranstalter*innen und Künstler*innen, haben wir darauf verzichtet, uns über die politischen Positionierungen der einzelnen DJs genauer zu informieren. 

– Zum Abend –

Die Party war gut besucht und der T-Keller entsprechend voll. Technisch gab es den Abend über Schwierigkeiten mit übersteuerten Höhen. Resultat war ein kratzender, unangenehmer Sound. Um das Soundproblem zu beheben standen wir mit verschiedenen DJs während ihrer Sets im Austausch. Weil die Störgeräusche auch während DJ Fár’s Set auftraten, bat eine Kollektivista einen ihr bekannten Tontechniker darum die Höhen runter zu drehen.

Kurze Zeit später hat DJ Fár den Song “Palestine Will Be Free” von Sorah gespielt. Eine Person aus dem Kollektiv, welche gerade hinter der Theke arbeitete, bewertete verschiedene aufgeschnappte Textfragmente als polarisierend und antisemitisch. Unsere Kollektivista ging auf die Bühne und bat DJ Fár darum das Lied auszumachen mit dem Hinweis, dass DJ Fár danach gerne weiter auflegen könne, nur diesen Song nicht abspielen solle. Das Lied wurde ausgemacht und auf der Bühne und im Publikum kam es zu Diskussionen. Nach einem kurzen Gespräch hat DJ Fár das Lied in voller Lautstärke wieder abgespielt. Daraufhin hat unsere Kollektivista die Anlage deutlich leiser gedreht und es kam im Publikum zu verschiedenen Rufen. Im Anschluss daran oder auch währenddessen – der Verlauf ist vom Kollektiv nicht mehr absolut nachvollziehbar – ging ein Gast auf die Bühne und beleidigte DJ Fár. Diese Person wurde später vom Awarenessteam angesprochen und vollkommen gerechtfertigt des Ladens verwiesen.

Dass es im Verlauf des Abends für einen Gast möglich war auf die Bühne zu treten und DJ Fár zu beleidigen, tut uns sehr leid und wir dulden derlei Verhalten bei uns im Laden nicht. Das, was auf der Bühne passiert ist, wurde von DJ Fár und weiteren Anwesenden als rassistisch angeklagt. Wir als Kollektiv tragen die Verantwortung für uns, unsere Räume und somit auch für das was in ihnen geschieht. Wir nehmen die an uns adressierten Rassismusvorwürfe ernst und reflektieren diese miteinander.  

– Und über den konkreten Abend hinaus? Wonach streben wir als T-Keller? –

Innerhalb unseres Selbstverständnisses haben wir uns mit der Frage auseinandergesetzt was für ein Kollektiv wir sein wollen und was für einen Raum wir gemeinsam gestalten wollen. In einem Abschnitt schreiben wir: “Als Kollektiv teilen wir einen antifaschistischen, antirassistischen und feministischen Grundkonsens. Wir verstehen uns als undogmatisch, da wir selbst aus unterschiedlichen linken und linksradikalen politischen Bezügen kommen. Deshalb versuchen wir möglichst vielen Richtungen innerhalb der Linken einen Raum zu geben.” (https://tkeller.org/was-ist-der-t-keller/).

Wie auch das Kollektiv ist das Publikum heterogen und der T-Keller soll ein Raum für ein möglichst breites Spektrum linker politischer Akteur*innen sein. Mit dem Song “Palestine Will Be Free” wurde dieser Rahmen – insbesondere vor dem Hintergrund, dass am 27.01. der Befreiung des größten deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau gedacht wird – überschritten. Die im abgespielten Song verwendeten Erzählmuster und Begriffe wie „apartheid“, „genocide“ und „colonisation“ finden sich auch in verbreiteten israelbezogenen, antisemitischen Narrativen wieder. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesen können wir nicht erkennen. Wir wollen derartigen Narrativen in unserem Laden keine Bühne geben – weder an besagtem Tag noch an einem anderen. Dabei möchten wir betonen, dass sich unsere Kritik an dieser Stelle explizit auf die Inhalte des Songs bezieht und nicht auf DJ Fár als Person.

Rückblicke auf vergangene Auseinandersetzungen zu den Themen Rassismus und Antisemitismus innerhalb der linken Szene in Göttingen und darüber hinaus weisen vielfach auf die Differenzen der Analysen und politischen Haltungen hin. In dem Kampf für eine befreite Gesellschaft kann aber eine emanzipatorische Antwort weder die Instrumentalisierung noch die Leugnung von Antisemitismus oder Rassismus sein.

Das bedeutet für uns auch, dass wir uns immer wieder daran erinnern sollten, dass Rassismus und Antisemitismus nicht nur eine Frage “der Anderen” ist und wir – im und als Kollektiv – sowie unsere Gäste dies fortlaufend reflektieren müssen. Nicht zuletzt, weil wir alle in einer antisemitisch und rassistisch strukturierten Gesellschaft leben. So können wir auch Orte wie den T-Keller davon nicht freisagen und es ist uns wichtig, dies auch nicht zu tun. Was wir aber tun können: Wir versuchen unserer Verantwortung gerecht zu werden und so Stück für Stück den Raum zu schaffen, den wir uns wünschen. Als Grundsatz gilt dabei für uns, dass Unterdrückungsformen weder gegeneinander aufgewogen noch ausgespielt werden dürfen.

Wir wollen mit unserer Stellungnahme keinen Beitrag zu einer verkürzten Debatte über den Nah-Ost-Konflikt leisten, wie wir sie innerhalb der Göttinger Linken und darüber hinaus wahrnehmen. Wir sind erschüttert über die Art der Auseinandersetzung. Die Empathielosigkeit mit und Entmenschlichung von palästinensischem und jüdischem Leben innerhalb einer undifferenzierten Debatte birgt die Gefahr, die jeweiligen Leidenserfahrungen in den Hintergrund zu rücken. Wir wollen sowohl den rassistischen Vorfall als auch die israelbezogenen antisemitischen Narrative in dem Song anerkennen und wissen, dass wir die einzelnen Wirkzusammenhänge sowie ein mögliches Ineinandergreifen innerhalb eines so hochkomplexen Konflikts damit nicht auflösen können.

Das T-Keller-Kollektiv


English version:

Dear all,

we too would like to comment on the incidents that happened in our bar at the soli party on January 27th.

– A few things first –

When hosting soli-parties, we as the T-Keller-Kollektiv merely provide our rooms and our structure. The party on that day was organized by the anti-repression group for the JVA occupation. The final line-up (of DJs playing) was decided by the organizers on the day itself. It was not us who invited DJ Fár, but the anti-rep group, and we weren’t involved in the decision. DJing in our bar doesn’t involve a lot of barriers. Trusting in a shared assumption of responsibility, we refrained from informing ourselves further about the political positions of the individual DJs.

– About the evening –

The party was well attended and therefore the T-Keller was quite crowded. Throughout the evening technical difficulties with our sound system occured, resulting in a scratchy, unpleasant sound. To solve the problem, we were in contact with various DJs during their sets. Because the problems were also occurring during DJ Fár’s set, a Kollektivista asked a sound engineer she knew to turn down the treble. 

A short time later, DJ Fár played the song “Palestine Will Be Free” by Sorah. A person from the collective, who was working behind the bar, interpreted various fragments of the lyrics she had overheard as polarizing and antisemitic. Our Kollektivista went on stage and asked DJ Fár to stop the song. It was communicated to DJ Fár that they were welcome to continue their set, but that this song should not be played. The song was turned off and discussions ensued on stage and in the audience. After a short conversation, DJ Fár replayed the song at full volume. Our Kollektivista then turned the volume down considerably and there were various shouts from the audience. At some point – we are unable to recollect the exact course of events – a guest went on stage and insulted DJ Fár. This person was later confronted by the awareness team and rightfully expelled from the venue.

We are very sorry that it was possible for a guest to go on stage and insult DJ Fár and we do not tolerate such behavior in our bar. What happened on stage was condemned as racist by DJ Fár and others. We as a collective are responsible for ourselves, our spaces and what happens in them. We take the accusations of racism directed at us seriously and continue to reflect on them together. 

– Beyond that evening, what do we strive for as T-Keller? –

Within our “Selbstverständnis”, we have addressed the question of what kind of collective we want to be and what kind of space we want to create together. In one section, we write: “As a collective, we share an antifascist, antiracist and feminist consensus. We see ourselves as undogmatic, as we ourselves come from various different left-wing and radical left-wing political backgrounds. Accordingly, we try to make our space available for different directions within the left-wing scene.” (https://tkeller.org/was-ist-der-t-keller/).

Like the collective, the audience is heterogeneous and the T-Keller is intended to be a space for a broad spectrum of left-wing political actors. The song “Palestine Will Be Free” exceeded this scope – especially considering that the liberation of Auschwitz-Birkenau, the largest German concentration camp, was commemorated the same day. The song uses narrative patterns and terms such as “apartheid”, “genocide” and “colonization”, which can be found in widespread antisemitic narratives. In our opinion, a critical examination of these is lacking. We do not want to give such narratives a stage in our bar – not on January 27th and not on any other day. However, we want to emphasize that this criticism refers explicitly to the contents of the song and not to DJ Fár as a person.

A look back at past debates on the topics of racism and antisemitism within the left-wing scene in Göttingen and beyond illustrates the existing differences in analyses and political attitudes. However, when fighting for a liberated society, an emancipatory response can neither consist of instrumentalizing nor denying antisemitism or racism. For us, this also means that we must constantly remind ourselves that racism and antisemitism are not just a matter of “the others” but rather that we – as a collective – and our guests must continuously reflect on this. After all, we all live in a society structured by antisemitism and racism. We cannot exclude places like the T-Keller from this and it is important to us not to do so. What we can do though: We try to live up to our responsibility and thus, piece by piece, create the space we desire. One of our basic principles is that forms of oppression should not be weighed off or pitted against each other.

With this statement, we do not want to contribute to the oftentimes oversimplified debate on the Middle East conflict held within Göttingen’s left and beyond. We are shocked by the nature of this debate. The lack of empathy and the dehumanization of Palestinian and Jewish life in the context of the debate carries the risk of downplaying the suffering experienced by those affected. We want to acknowledge both the racist incident and the Israel-related antisemitic narratives of the song “Palestine Will Be Free”, but know that this cannot resolve the various interdependencies and potential conjunctions within such a highly complex conflict.

The T-Keller-Kollektiv